Wie man Usability-Probleme effektiv priorisiert

von | Okt. 25, 2024 | Auswahl der Redaktion, Usability Testing

Nach einem ausführlichen Usability-Test – egal ob mit echten Nutzern oder durch Experten-Reviews – steht man oft vor einem typischen Problem: Es gibt eine Fülle von Feedback und Verbesserungsvorschlägen. Manche Probleme sind offensichtliche Stolpersteine, andere wirken vielleicht eher nebensächlich. Doch wie entscheidet man, welche Probleme zuerst angegangen werden sollten?

Die Realität ist, dass Ressourcen – Zeit, Geld, Manpower – immer begrenzt sind. Nicht jedes Usability-Problem kann sofort gelöst werden, und daher ist es wichtig, die richtigen Prioritäten zu setzen. Dieser Artikel zeigt, wie Usability-Probleme effektiv priorisiert werden können, um den größten Einfluss auf das Nutzererlebnis zu erzielen und gleichzeitig effizient zu arbeiten.

Die Bedeutung der Problem-Priorisierung

Nach einem Usability-Test steht oft eine lange Liste mit Problemen, Feedback und Verbesserungsvorschlägen im Raum. Doch nicht jedes dieser Probleme hat den gleichen Einfluss auf das Nutzererlebnis. Einige sind echte Showstopper, die Nutzer frustrieren oder davon abhalten, die Anwendung weiter zu nutzen, während andere zwar auffallen, aber kaum negative Auswirkungen haben.

Hier kommt die Priorisierung ins Spiel: Nicht alle Probleme sind gleich wichtig, und der Versuch, alles gleichzeitig zu lösen, kann oft ineffizient sein. Häufig ist es sinnvoller, sich auf die Probleme zu konzentrieren, die den größten Mehrwert bringen oder das größte Potenzial haben, Nutzer zu frustrieren. Dies spart nicht nur Ressourcen, sondern sorgt auch dafür, dass Verbesserungen schnell sichtbare Ergebnisse liefern.

Ein gut durchdachter Priorisierungsprozess hilft dabei, die Balance zwischen Aufwand und Nutzen zu finden. Es geht darum, maximale Wirkung zu erzielen, ohne sich im Klein-Klein zu verlieren. Dabei spielen verschiedene Faktoren eine Rolle – von der Schwere des Problems über die Häufigkeit bis hin zum wirtschaftlichen Einfluss. Der nächste Schritt ist daher, zu verstehen, wie diese Faktoren gewichtet werden können.

Nutzerfeedback als Grundlage der Priorisierung

Eine der zuverlässigsten Quellen, um Usability-Probleme zu identifizieren und priorisieren, ist das direkte Feedback der Nutzer. Sie sind diejenigen, die tagtäglich mit dem Produkt arbeiten und am besten wissen, welche Hürden ihnen im Weg stehen. Nutzerfeedback kann sowohl qualitativ (z. B. Interviews, Umfragen) als auch quantitativ (z. B. Nutzungsdaten, Heatmaps) sein – beide Formen liefern wertvolle Einsichten.

Quantitatives Feedback:

Metriken wie Abbruchraten oder Klickpfade zeigen, an welchen Stellen Nutzer Probleme haben. Zum Beispiel, wenn Nutzer eine bestimmte Funktion regelmäßig nutzen wollen, aber die Seite verlassen, bevor sie sie erfolgreich abschließen können. Heatmaps und Session Recordings geben dabei wertvolle visuelle Einblicke, welche Bereiche einer Seite häufig geklickt werden – oder eben nicht. Wenn hier Auffälligkeiten wie häufige Klicks auf nicht interaktive Elemente oder eine starke Nutzung der Suchfunktion zu erkennen sind, ist das ein klares Zeichen für Verbesserungsbedarf.

Qualitatives Feedback:

Nutzerinterviews und Umfragen liefern direktes Feedback darüber, wo der Schuh drückt. Hier kommen oft spezifische Probleme zutage, die in reinen Nutzungsdaten nicht unbedingt sichtbar sind. Interviews bieten zudem die Möglichkeit, tiefergehende Informationen zu sammeln, um die Hintergründe und Motivationen der Nutzer zu verstehen. Card Sorting oder Usability-Test-Videos zeigen dabei, wie Nutzer tatsächlich mit einer Anwendung interagieren – und wo sie ins Stocken geraten.

Balance zwischen beiden Ansätzen:

Während quantitative Daten helfen, Problemfelder zu identifizieren, zeigen qualitative Daten auf, warum diese Probleme bestehen und wie sie gelöst werden könnten. Beide Ansätze ergänzen sich also perfekt und bilden die Grundlage für eine fundierte Priorisierung. So lassen sich Usability-Probleme nicht nur schnell erkennen, sondern auch nach ihrer Relevanz für die Nutzer und das Gesamterlebnis bewerten.

Methoden zur Priorisierung von Usability-Problemen

Es gibt verschiedene Methoden, um Usability-Probleme systematisch zu priorisieren. Je nach Kontext, Ressourcen und Projektgröße kann eine oder eine Kombination dieser Methoden angewendet werden. Hier sind einige der gängigsten Ansätze:

a) Severity-Ratings (Schweregrad-Bewertungen)

Eine der gebräuchlichsten Methoden ist die Bewertung von Usability-Problemen nach ihrem Schweregrad. Dabei kommt oft eine Skala von 0 bis 4 zum Einsatz, um die Dringlichkeit und den Einfluss eines Problems systematisch zu bewerten:

  • 0 – Kein Problem: Keine Auswirkungen auf die Usability.
  • 1 – Kosmetisches Problem: Das Problem ist eher ästhetischer Natur und stört die Nutzung kaum. Es kann zu einem späteren Zeitpunkt behoben werden.
  • 2 – Geringfügiges Problem: Das Problem beeinflusst die Usability, behindert die Nutzer jedoch nicht ernsthaft. Die Behebung ist sinnvoll, aber nicht dringend.
  • 3 – Großes Problem: Das Problem beeinträchtigt die Nutzererfahrung erheblich und sollte zeitnah gelöst werden.
  • 4 – Kritisches Problem: Ein schwerwiegendes Problem, das die Nutzung der Website oder App stark behindert oder komplett verhindert. Es muss sofort behoben werden.

Mit dieser Skala lassen sich Probleme klar und objektiv priorisieren, was besonders in Teams nützlich ist, um Entscheidungen zu fällen. Kritische Probleme (4) erfordern sofortige Aufmerksamkeit, während kosmetische Probleme (1) später behoben werden können.

b) Das Eisenhower-Prinzip

Das Eisenhower-Prinzip ist ein klassisches Modell, um zwischen wichtigen und dringenden Aufgaben zu unterscheiden. Usability-Probleme lassen sich nach diesen Kriterien in vier Kategorien einteilen:

  • Wichtig und dringend: Diese Probleme sollten sofort gelöst werden, da sie sowohl das Nutzererlebnis stark beeinträchtigen als auch kurzfristige Auswirkungen haben.
  • Wichtig, aber nicht dringend: Diese Probleme haben langfristige Auswirkungen auf die Usability, können aber in den nächsten Iterationen angegangen werden.
  • Dringend, aber nicht wichtig: Hierbei handelt es sich oft um Probleme, die zwar auffallen, aber nur geringen Einfluss auf das Gesamterlebnis haben.
  • Weder wichtig noch dringend: Diese Probleme können warten oder eventuell sogar ignoriert werden.

Das Eisenhower-Prinzip ist besonders hilfreich, um sich nicht in der Vielzahl von kleineren Usability-Problemen zu verlieren und den Fokus auf die wirklich kritischen Bereiche zu lenken.

c) Cost-Benefit-Analyse

Nicht jedes Problem lässt sich isoliert betrachten. Die Cost-Benefit-Analyse hilft dabei, den Aufwand zur Behebung eines Problems dem potenziellen Nutzen gegenüberzustellen. Es gilt abzuwägen:

  • Kosten: Wie viel Aufwand (Zeit, Budget, personelle Ressourcen) ist nötig, um das Problem zu lösen?
  • Nutzen: Welchen positiven Effekt hätte die Lösung auf das Nutzererlebnis oder die Geschäftsziele?

Ein Beispiel: Wenn eine kleine Änderung in der Benutzerführung (geringer Aufwand) zu einer deutlich besseren Conversion-Rate führt (hoher Nutzen), sollte diese vorrangig bearbeitet werden. Umgekehrt können aufwändige und kostenintensive Lösungen für seltene oder weniger relevante Probleme auf der Prioritätenliste nach unten rutschen.

Das Kano-Modell: Basisanforderungen vs. Begeisterungsmerkmale

Das Kano-Modell ist eine nützliche Methode, um Usability-Probleme und Funktionen in zwei Kategorien einzuteilen: Basisanforderungen (Must-haves) und Begeisterungsmerkmale (Delighters). Es hilft dabei, klar zu unterscheiden, welche Probleme dringend behoben werden müssen, um grundlegende Erwartungen zu erfüllen, und welche Funktionen zusätzliche Freude bereiten können, ohne jedoch zwingend notwendig zu sein.

Basisanforderungen (Must-haves):

Diese Probleme betreffen grundlegende Funktionen, die Nutzer einfach voraussetzen. Wenn diese Basisanforderungen nicht erfüllt sind, entsteht schnell Frust, und die Nutzer springen ab. Solche Probleme betreffen häufig essentielle Dinge wie die Ladegeschwindigkeit der Seite, die Lesbarkeit der Inhalte oder die korrekte Funktionalität wichtiger Features.

  • Beispiel: Wenn ein Online-Shop keine funktionierende Warenkorbfunktion hat, verlieren Nutzer sofort das Vertrauen und brechen den Kauf ab. Ein solches Problem muss dringend gelöst werden, um die Grundanforderungen der Nutzer zu erfüllen.

Begeisterungsmerkmale (Delighters):

Auf der anderen Seite stehen Features und Verbesserungen, die nicht erwartet werden, aber zu einer positiven Überraschung führen, wenn sie vorhanden sind. Diese Merkmale können das Nutzererlebnis erheblich verbessern, sind jedoch nicht ausschlaggebend dafür, ob ein Nutzer bleibt oder abspringt. Begeisterungsmerkmale sind das Sahnehäubchen, das aus einer guten Benutzererfahrung eine großartige macht.

  • Beispiel: Eine besonders intuitive Gestensteuerung auf einer mobilen App, die das Navigieren vereinfacht und Freude bereitet, ist ein solcher „Delighter“. Nutzer erwarten das nicht zwingend, aber es schafft eine positive Differenzierung.

Priorisierung mit dem Kano-Modell:

Das Kano-Modell hilft dabei, Probleme und Verbesserungen so zu priorisieren, dass zunächst die Basisanforderungen vollständig erfüllt werden, bevor man sich an Begeisterungsmerkmale wagt. Die Must-haves sollten immer an erster Stelle stehen – denn wenn diese nicht funktionieren, helfen auch keine ausgefallenen Features. Delighters kommen dann ins Spiel, wenn die Grundfunktionen einwandfrei sind und die Nutzererfahrung auf die nächste Ebene gehoben werden soll.

Die Rolle von Geschäftszielen bei der Priorisierung

Usability-Probleme wirken sich direkt auf das Nutzererlebnis aus, doch sie müssen oft auch im Kontext der übergeordneten Geschäftsziele betrachtet werden. Ein Problem, das zwar gravierend erscheint, aber nur eine Nischenfunktion betrifft, kann weniger Priorität haben als ein Problem, das sich auf eine Hauptfunktion oder eine Umsatzquelle auswirkt. Die Herausforderung besteht darin, Usability-Probleme nicht nur anhand ihrer Schwere für die Nutzer zu priorisieren, sondern auch anhand ihres Einflusses auf das Unternehmen.

Geschäftsziel vs. Nutzerbedürfnis:

Es ist wichtig, die Balance zwischen Nutzererwartungen und geschäftlichen Zielen zu finden. Einige Usability-Probleme können beispielsweise die Conversion-Rate direkt beeinträchtigen, während andere eher langfristige Auswirkungen auf die Nutzerbindung haben. Probleme, die in direktem Zusammenhang mit Umsatz, Lead-Generierung oder wichtigen Touchpoints stehen, sollten im Kontext dieser übergeordneten Ziele priorisiert werden.

Strategische Ausrichtung:

Wenn ein Unternehmen beispielsweise plant, eine neue Funktion oder ein neues Produkt zu launchen, könnte es sinnvoll sein, Usability-Probleme im Zusammenhang mit diesen Features zuerst zu adressieren. Oder falls eine Mobile-First-Strategie verfolgt wird, kann die Optimierung der mobilen Usability eine höhere Priorität erhalten als Probleme, die nur die Desktop-Nutzung betreffen.

Kompromisse zwischen Usability und Business:

Manchmal kann es auch notwendig sein, Kompromisse einzugehen. Ein Feature, das aus Usability-Sicht weniger ideal erscheint, kann in einem geschäftlichen Kontext (z. B. durch verstärkte Markenbindung oder Werbemöglichkeiten) jedoch von Vorteil sein. In solchen Fällen ist eine abgewogene Entscheidung nötig, bei der der langfristige Nutzen gegen kurzfristige Usability-Einbußen abgewogen wird.

Fazit

Die Priorisierung von Usability-Problemen ist ein entscheidender Schritt, um das Nutzererlebnis gezielt zu verbessern und gleichzeitig Ressourcen effizient einzusetzen. Egal, ob es sich um kritische Fehler, kleine Frustmomente oder versteckte Optimierungsmöglichkeiten handelt – eine klare Priorisierung hilft dabei, zuerst die Probleme anzugehen, die den größten Einfluss haben.

Durch den Einsatz bewährter Methoden wie Severity-Ratings, das Eisenhower-Prinzip und Cost-Benefit-Analysen lassen sich Usability-Probleme objektiv bewerten und gezielt lösen. Gleichzeitig sollte die Balance zwischen Nutzerbedürfnissen und geschäftlichen Zielen im Auge behalten werden, um langfristig den größten Nutzen zu erzielen.

Am Ende gilt: Usability ist ein fortlaufender Prozess, und die regelmäßige Überprüfung und Anpassung der Prioritäten ist genauso wichtig wie die konkrete Problembehebung. Mit einem strukturierten und strategischen Ansatz lassen sich nicht nur die dringendsten Usability-Hürden überwinden, sondern auch langfristig positive Nutzererlebnisse schaffen.

 

 

Dieser Inhalt wurde mit Unterstützung der Technologien ChatGPT-4 und DALL·E von OpenAI sowie Midjourney und DeepL erstellt. Der überwiegende Teil der redaktionellen Arbeit stammt jedoch von unserem Team, um Authentizität und Fachwissen zu gewährleisten.