Farbenblindheit im UX-Design: Richtlinien und Werkzeuge

von | Dez 29, 2023 | Auswahl der Redaktion, Barrierefreiheit

Stell dir vor, du stehst an einer Ampel. Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, dass Rot für „Stopp“ und Grün für „Los“ steht. Aber was, wenn du Rot und Grün nicht unterscheiden kannst, wie es bei einer Rot-Grün-Schwäche der Fall ist? Glücklicherweise hilft die Position der Lichter – oben für „Stopp“ und unten für „Los“ –, diese wichtige Information dennoch zu vermitteln. Dieses Prinzip der redundanten Signalgebung ist ein Schlüsselkonzept im UX-Design, insbesondere wenn es um die Gestaltung für Nutzer mit Farbenblindheit geht.

Ähnlich wie bei der Ampel müssen digitale Produkte so gestaltet sein, dass Informationen nicht ausschließlich über Farben vermittelt werden. Farbenblindheit, oder genauer Farbsehschwäche, betrifft einen signifikanten Teil der Bevölkerung und stellt im Webdesign eine besondere Herausforderung dar.

 

Grundlagen der Farbwahrnehmung und Farbenblindheit

Um die Herausforderungen und Lösungen im UX-Design für Menschen mit Farbsehschwächen zu verstehen, ist es zunächst einmal  wichtig, sich mit den Grundlagen der Farbwahrnehmung und den verschiedenen Formen der Farbenblindheit vertraut zu machen.

Wie funktioniert die Farbwahrnehmung?

Die Farbwahrnehmung entsteht durch das Zusammenspiel von Licht, Augen und Gehirn. In deinen Augen befinden sich Photorezeptoren, sogenannte Zapfen, die auf unterschiedliche Wellenlängen des Lichts reagieren und so die Wahrnehmung von Farben ermöglichen. Die meisten Menschen haben drei Typen von Zapfen, die jeweils auf Rot, Grün oder Blau reagieren – die Grundfarben, aus denen alle anderen Farben gemischt werden.

Was ist Farbenblindheit?

Farbenblindheit, auch als Farbsehschwäche bezeichnet, tritt auf, wenn ein oder mehrere der Zapfentypen fehlen oder nicht richtig funktionieren. Dies führt dazu, dass du bestimmte Farben nicht so siehst wie die meisten anderen Menschen.

Die häufigsten Formen der Farbenblindheit

Vergleich: Ohne Farbsehschwäche: 

Ein Blatt im Wald: Originalzustand

Ein Blatt im Wald: Originalzustand

 

Rot-Grün-Schwäche (Deuteranomalie/Protanomalie):

Diese ist die häufigste Form der Farbenblindheit. Menschen mit einer Rot-Grün-Schwäche haben Schwierigkeiten, zwischen verschiedenen Rottönen und Grüntönen zu unterscheiden. Für sie können bestimmte Rottöne grüner erscheinen und umgekehrt. In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass ein roter Button auf einem grünen Hintergrund schwer zu erkennen sein kann, da beide Farben ähnlicher erscheinen als für Menschen mit normaler Farbwahrnehmung.

Ein Blatt im Wald: Simulation von Protanomalie (Rot-Schwäche)

Ein Blatt im Wald: Simulation von Protanomalie (Rot-Schwäche)

Ein Blatt im Wald: Simulation von Deuteranomaly (Grün-Schwäche)

Ein Blatt im Wald: Simulation von Deuteranomaly (Grün-Schwäche)

 

Blau-Gelb-Schwäche (Tritanomalie):

Diese Form ist seltener und betrifft die Wahrnehmung von Blau- und Gelbtönen. Personen mit Tritanomalie sehen Blau- und Gelbtöne oft weniger gesättigt und haben Schwierigkeiten, sie von Grün- oder Rot-Tönen zu unterscheiden. Dies kann in Designs zu Verwechslungen führen, wenn beispielsweise ein gelber Text auf einem hellblauen Hintergrund platziert wird.

Ein Blatt im Wald: Simulation von Tritanomalie (Blau-Gelb-Schwäche)

Ein Blatt im Wald: Simulation von Tritanomalie (Blau-Gelb-Schwäche)

 

Totale Farbenblindheit (Achromatopsie):

Dies ist eine seltene Erkrankung, bei der Menschen überhaupt keine Farben wahrnehmen können, sondern die Welt in verschiedenen Grautönen sehen. In solchen Fällen ist es wichtig, dass UX-Designer sich stark auf Kontraste, Textur und visuelle und beschreibende Elemente konzentrieren, um Informationen zu vermitteln.

Ein Blatt im Wald: Simulation von Achromatopsie (totale Farbblindheit)

Ein Blatt im Wald: Simulation von Achromatopsie (totale Farbblindheit)

 

 

Auswirkungen auf das UX-Design

Die Berücksichtigung von Farbsehschwächen im UX-Design ist entscheidend, um sicherzustellen, dass deine Produkte für alle Nutzer zugänglich sind. Das Design sollte so gestaltet sein, dass Informationen nicht ausschließlich über Farben vermittelt werden, ähnlich wie die redundanten Signale einer Ampel, die sowohl über Farbe als auch über Position kommunizieren.

 

Die Bedeutung von Farben im UX-Design

Farben sind nicht nur ästhetische Elemente, sondern haben auch eine tiefgreifende Wirkung auf die Benutzererfahrung. Sie können Gefühle und Stimmungen beeinflussen, die Aufmerksamkeit lenken und wesentliche Informationen übermitteln. Daher ist ein durchdachter Einsatz von Farben im Design unerlässlich.

Farbe als Navigationshilfe

Farben helfen Nutzern, sich in Apps und auf Webseiten zu orientieren. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Verwendung von blauen Tönen, um Links hervorzuheben. Dies signalisiert den Nutzern, dass Texte in dieser Farbe anklickbar sind und zu weiteren Informationen führen. In einer E-Learning-App könnten beispielsweise alle interaktiven Lektionen in einem markanten Blauton dargestellt werden, während nicht-interaktive Inhalte in einem neutralen Grau gehalten sind. Dies erleichtert den Nutzern die Unterscheidung zwischen klickbaren und nicht-klickbaren Elementen.

Farbe als Mittel zur Informationsvermittlung

Farben können komplexe Informationen schnell und effizient vermitteln. Rot wird oft verwendet, um Warnungen oder Fehler anzuzeigen, während Grün Erfolg oder Bestätigung signalisiert. In einer Finanz-App könnten positive Kontoänderungen (wie Geldeingänge) in Grün und Ausgaben oder Gebühren in Rot dargestellt werden. Dies ermöglicht den Nutzern, ihre Finanzen auf einen Blick zu überblicken und wichtige Informationen schnell zu erfassen.

Farbe zur Förderung der Markenidentität

Die Farbpalette einer Marke trägt wesentlich zur Wiedererkennung und zum Markenimage bei. Eine Lifestyle-App könnte beispielsweise sanfte Pastelltöne nutzen, um eine entspannte, freundliche Atmosphäre zu schaffen, die mit der Markenbotschaft von Achtsamkeit und Wohlbefinden übereinstimmt. Diese Auswahl spezifischer Farben kann bestimmte Assoziationen und Gefühle bei den Nutzern wecken.

Farbe zur Schaffung einer emotionalen Verbindung

Farben können auch genutzt werden, um eine emotionale Verbindung zum Nutzer aufzubauen. Eine Reise-App, die lebhafte und warme Farbtöne verwendet, spiegelt beispielsweise die Freude und Aufregung des Reisens wider und spricht Nutzer emotional an. Die richtige Farbauswahl kann ein Gefühl von Vertrauen, Freude, Ruhe oder auch Aufregung erzeugen.

Farbe zur Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit

Eine gut durchdachte Farbgestaltung kann die Benutzerfreundlichkeit eines Produkts erheblich steigern, insbesondere wenn sie auf die Bedürfnisse von Nutzern mit Seheinschränkungen eingeht. So könnte eine Nachrichten-App einen hohen Kontrast zwischen Text und Hintergrund sowie zwischen verschiedenen UI-Elementen verwenden, um die Lesbarkeit und Navigation für alle Nutzer zu erleichtern, einschließlich derjenigen mit eingeschränktem Sehvermögen.

Die sorgfältige und strategische Verwendung von Farben im UX-Design kann somit die Benutzererfahrung deutlich verbessern und trägt dazu bei, die Ziele und Werte einer Marke effektiv zu kommunizieren.

 

Richtlinien für farbenblind-freundliches Design

Beim Design digitaler Produkte ist es entscheidend, dass diese für alle Nutzer, einschließlich derjenigen mit Farbsehschwächen, zugänglich sind. Ein farbenblind-freundliches Design berücksichtigt verschiedene Formen der Farbenblindheit und stellt sicher, dass Informationen nicht allein durch Farbe vermittelt werden. Hier sind einige wichtige Richtlinien, um ein inklusives Design zu gewährleisten:

Verwendung von Kontrasten und Farbsättigung

  • Hoher Kontrast: Stelle sicher, dass Texte und wichtige Elemente einen hohen Kontrast zum Hintergrund aufweisen. Dies verbessert die Lesbarkeit für alle Nutzer, besonders für solche mit eingeschränkter Farbwahrnehmung.
  • Deutliche Farbsättigung: Verwende Farben mit hoher Sättigung, um wichtige Elemente hervorzuheben. Leuchtende und tiefe Farben sind für Menschen mit Farbsehschwächen leichter zu erkennen als Pastelltöne.

Alternative Visualisierungsmethoden

  • Einsatz von Symbolen und Text: Ergänze farbliche Hinweise durch Textbeschriftungen oder Symbole. Beispielsweise könnte ein roter Fehlerhinweis zusätzlich ein Ausrufezeichen oder den Text „Fehler“ enthalten.
  • Muster und Texturen: Nutze Muster und Texturen, um wichtige Informationen zu vermitteln. Dies ist besonders hilfreich bei Diagrammen oder Karten, wo Farben allein eventuell nicht ausreichen.

Vermeidung von Farbe als einzige Informationsquelle

  • Mehrkanalige Kommunikation: Verlasse dich niemals ausschließlich auf Farbe, um wichtige Informationen zu übermitteln. Stelle sicher, dass die Information auch ohne Farberkennung verständlich bleibt.
  • Redundante Hinweise: Biete zusätzliche Hinweise, wie z.B. Textmeldungen oder akustische Signale, um sicherzustellen, dass die Information auch von Nutzern mit Farbsehschwächen verstanden wird.

Einsatz von Farbblindheits-Simulationstools

  • Testing und Anpassung: Verwende Tools, die simulieren, wie deine Designs für Menschen mit verschiedenen Arten von Farbenblindheit aussehen. Dies hilft dabei, potenzielle Probleme frühzeitig zu erkennen und anzupassen.

Regelmäßige Nutzertests

  • Einbeziehung von Nutzern mit Farbsehschwächen: Führe regelmäßig Tests mit echten Nutzern durch, die an Farbenblindheit leiden, um direktes Feedback zu erhalten. Dies gewährleistet, dass das Design tatsächlich barrierefrei ist.

 

Indem Designer diese Richtlinien befolgen, können sie sicherstellen, dass ihre Produkte für ein breiteres Publikum zugänglich sind, unabhängig von deren Fähigkeit, Farben zu unterscheiden. Dies trägt nicht nur zur allgemeinen Zugänglichkeit bei, sondern verbessert auch die Gesamtqualität des Designs.

 

 

Werkzeuge und Ressourcen für Designer

Für Designer, die sich auf farbenblind-freundliches Design spezialisieren möchten, gibt es eine Vielzahl von Tools und Ressourcen:

 

The A11Y Project

Ein offenes, gemeinschaftlich betriebenes Projekt, das Webzugänglichkeit vereinfacht​​.

Screenshot von https://www.a11yproje ct.com/ (29.Dezember 2023)

Screenshot von https://www.a11yproje ct.com/ (29.Dezember 2023)

Zur Website

 

Color Blindor

Webseite mit einem Farbsehschwäche-Simulator

Screenshot von https://www.color-blindness.com/ (29.Dezember 2023)

Screenshot von https://www.color-blindness.com/ (29.Dezember 2023)

Zur Website

 

Axe Chrome Plugin 

Ein in-browser Tool für Chrome Developer Tools, das schnelle und detaillierte Berichte zur Zugänglichkeit liefert​​.

Screenshot von https://chromewebstore.google.com/detail/axe-devtools-web-accessib/lhdoppojpmngadmnindnejefpokejbdd?pli=1(29.Dezember 2023)

Screenshot von https://chromewebstore.google.com/detail/axe-devtools-web-accessib/lhdoppojpmngadmnindnejefpokejbdd?pli=1(29.Dezember 2023)


Zum Tool

 

Diese Tools und Ressourcen sind unverzichtbar für Designer, die ein inklusives und barrierefreies Design schaffen möchten. Sie bieten sowohl praktische Unterstützung als auch wertvolle Einblicke in die besten Praktiken der Branche.

 

Fazit

Die Berücksichtigung von Farbenblindheit im UX-Design ist nicht nur eine Frage der Zugänglichkeit, sondern auch ein wesentlicher Aspekt der Nutzerzentrierung und Designqualität. Durch das Verständnis der verschiedenen Formen der Farbsehschwäche und deren Auswirkungen auf die Nutzererfahrung können Designer digitale Produkte schaffen, die für ein breiteres Publikum zugänglich sind. Die Einhaltung von Richtlinien für farbenblind-freundliches Design und die Verwendung spezialisierter Tools und Ressourcen helfen dabei, Barrieren abzubauen und ein inklusives Nutzererlebnis zu gewährleisten. Letztendlich ist ein Design, das auf Farbenblindheit Rücksicht nimmt, ein Schritt hin zu einem Design, das alle Nutzer berücksichtigt und wertschätzt.